Caritas-Chefin Balaskovics: „Bin da, wo ich hingehöre“
BVZ: Frau Balaskovics, wie war für Sie der Schritt vom etablierten Fernsehstar zur Caritas?
Melanie Balaskovics: Der Gedanke, bis zur Pension beim ORF zu bleiben, war nie da. Ich bin zufällig während meines Wirtschaftsstudiums vom damaligen Chefredakteur Karlheinz Papst gefragt worden, ob ich Interesse hätte. Als Unternehmerkind war das so gar nicht das, was angedacht war. Aber ich habe mich in den Job verliebt und bin 23 Jahre hängen geblieben. Aber für mich war immer klar, das kann nicht alles gewesen sein.
Gab es diesbezüglich einen bestimmten Wendepunkt?
Balaskovics: Durch meine Aufgaben für „Licht ins Dunkel“ habe ich begonnen mich ehrenamtlich zu engagieren. Irgendwann war klar, wenn ich wechsle, dann in den Sozialbereich. Als dann im Vorjahr das Angebot vom Herrn Bischof kam, war ich baff. Nahezu zeitgleich hat sich im ORF eine Führungsposition aufgetan, wo zu rechnen war, dass sie mir zugedacht wird. Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, aber mir war wichtig, auf mein Herz zu hören.
Wie war das Ankommen in der Caritas und in der Diözese?
Balaskovics: Ich habe mich sofort heimisch gefühlt. Hier arbeitet klarerweise ein ganz anderer Menschenschlag. Da spielen viel Gefühl und Herz mit. Journalisten sind Individualisten, da geht es nicht so sehr um ein Teamgefüge. Der Unterschied ist, dass ich auch einen anderen Zugang zu Menschen pflege. Ich bin jetzt da, wo ich hingehöre.
Was sind Ihre unmittelbaren Ziele als Chefin von 650 Mitarbeitern?
Balaskovics: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Es bedarf einer Neuorganisation und wir sind gerade dabei, diese neuen Strukturen aufzubauen. Unsere Obdachlosen-Einrichtungen etwa sollen erweitert werden, – es gibt ja bereits in Oberwart die Notschlafstelle und in Eisenstadt den Zufluchtsraum. Corona hat punkto Delogierungen wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Gemeinsam mit den Wohnbaugenossenschaften werden Projekte entwickelt, um Übergangswohnungen zu schaffen, den Betroffenen soll außerdem eine Sozialbetreuung zur Seite gestellt werden.
Wie hoch ist eigentlich die Armut im Burgenland?
Balaskovics: Das lässt sich nicht wirklich beziffern. Aber zur Veranschaulichung. Wir haben im Vorjahr 566 Menschen in existenziellen Notsituationen geholfen, 78 Personen vor der Obdachlosigkeit bewahrt, 14.000 Euro für Lebensmittelgutscheine und über 30.000 Euro für Carla-Gutscheine verteilt. Fast 3.000 Stunden sind an Sozialberatung und Nothilfeberatung passiert. Also das sind schon enorme Zahlen für ein kleines Bundesland.
War Ihnen bewusst, dass es bei uns Menschen gibt, die sich das Essen für ihre Kinder nicht leisten können?
Balaskovics: Nein. Das sind diese Momente, wo ich fassungslos bin. Das Lerncafé in Oberwart etwa ist für 22 Kinder ausgelegt, es kommen mittlerweile 37. Um angenommen zu werden, darf ein bestimmtes Familieneinkommen nicht überschritten werden. 60 weitere Kinder stehen noch auf der Warteliste. Wir können das nicht stemmen, aber man kann die Kinder natürlich auch nicht wegschicken. Oft kommen sie von der Schule und können nicht zu lernen beginnen, weil sie so hungrig sind. Dann müssen wir einmal Essen auftreiben.
Wie spendenfreudig sind denn die Burgenländer eigentlich?
Balaskovics: Wenn Not im eigenen Land ist, kommen natürlich die meisten Spenden herein. Im Lockdown-Jahr 2020 war ein enormer Anstieg bemerkbar. Wer ein wenig auf der Seite hatte, wollte helfen. Die Spanne geht von zehn bis vielleicht 500 Euro, – ab und zu gibt es auch ein- bis zweitausend Euro von Betrieben, etwa für ein Lerncafé. Aus wirtschaftlicher Sicht möchte ich hier ansetzen und Kooperationen mit Unternehmen knüpfen.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen in nächster Zeit?
Balaskovics: Vor allem einmal der Notstand an Pflegepersonal. Bis 2030 braucht es laut Statistiken in Österreich zusätzliche 75.000 Mitarbeiter. Mein Wunsch ist, nicht nur mit dem Rechenstift darüber nachzudenken. Es wird generell ein Umdenken nötig. Die klassischen Altenwohn- und Pflegeheime werden so langfristig nicht finanzierbar sein. Das Ziel ist, – da bin ich ganz beim Landeshauptmann –, dass Angehörige so lange wie möglich zu Hause bleiben können und man Pflege vor Ort anbietet. Ich kann Doskozils Wunsch viel abgewinnen, in Regionen kleine Sozialzentren zu errichten.
Welche Wege werden Sie bezüglich Kommunikation in der Diözese gehen?
Balaskovics: Die Kirchenaustritte, das Unverständnis für viele Entscheidungen in der katholischen Kirche – ich habe meine Meinung, aber ich verurteile nicht. Was ich als meine Aufgabe sehe, ist die positiven Aspekte noch mehr hervorzukehren, natürlich aber auch offen und ehrlich auf Anfeindungen zu reagieren. Was die Pandemie übrigens noch mit sich gebracht hat: Digital übertragene Gottesdienste hatten massiven Zulauf.
Ist das vielleicht die Zukunft?
Balaskovics: Das ist ein kirchenrechtliches Problem, über das gerade auf höchster Ebene der Bischofskonferenz diskutiert wird. Wie man diesem Angebot treu bleiben kann, ohne das Kirchenrecht zu verletzen. Das ist ein sehr komplexer Bereich.
Was bedeutet Glaube für Sie persönlich ?
Balaskovics: Glaube ist für mich ein massiver Ankerpunkt geworden, aus dem ich enorm viel Energie schöpfe. Gerade als Jugendlicher hadert man ja auch oft mit dem Herrgott. Ich merke, je älter ich werde, dass da eine Kraft ist, die mich mehr und mehr zurückzieht.