SPÖ verteidigt halbleere Reihen bei Selenskyj-Rede

Selenskyjs Rede fand zwar im Nationalratssitzungssaal statt, allerdings im Rahmen einer "parlamentarischen Veranstaltung" und nicht des anschließenden Plenums. Schon vor einem Jahr hatte es Versuche der NEOS gegeben, dem ukrainischen Präsidenten wie in vielen anderen Ländern auch die Möglichkeit zu geben, im Parlament zu sprechen - diese Initiative war allerdings am Widerstand der FPÖ gescheitert, auch die SPÖ zögerte damals zunächst. Am gestrigen Donnerstag protestierten die Freiheitlichen gegen die Ansprache, indem sie Taferln auf ihren Pulten platzierten, dem Redner den Rücken zukehrten und geschlossen den Saal verließen. Während alle Fraktionen die FPÖ für dieses Verhalten zurechtwiesen, fiel auch auf, dass bei der SPÖ knapp über die Hälfte der Abgeordneten fehlte, darunter auch die außenpolitische Sprecherin und Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner - krankheitsbedingt, wie dann mitgeteilt wurde. Auffällig hoch war übrigens der niederösterreichische Anteil unter den Abwesenden.
Dass dies mit einem mitunter schwierigen Verhältnis zu Russland mancher Linker zusammenhängen könnte, wies Leichtfried gegenüber der APA zurück: "Der Vorwurf ist für mich sehr, sehr abstrus", verwies er auf das entsprechende Abstimmungsverhalten der SPÖ im Parlament. "Ganz klar, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine und gegen den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine", unterstrich er.
Als Erklärung für die Abwesenheiten führte Leichtfried an, "es gibt gewisse Vorbehalte gegen Veranstaltungen des Nationalratspräsidenten (Wolfgang Sobotka, ÖVP, Anm.) generell". Gefragt, ob es ihm leid tue, welches Bild die SPÖ nun in dieser Sache abgebe, konterte Leichtfried: "Wenn man mir bei meiner Rede (nach Selenskyjs Ansprache, Anm.) zugehört hat, sind alle Klarheiten gegeben."
Auf diese Argumentation reagierte Sobotka verärgert. "Dass manche nun argumentieren, sie hätten mit mir ein Problem und das als Begründung für ihr Nichterscheinen nennen, finde ich bedauerlich", so Sobotka in der Samstag-Ausgabe des "Kurier". "Es gibt auch Momente, wo unser Staat, unsere Republik als Ganzes, geeint auftreten sollte. Die Rede Selenskyj war so einer." Parteipolitik hat hier nach Ansicht Sobotkas nichts verloren: "Dieser Anlass hatte mit Parteipolitik nichts zu tun. Wenn man alles nur unter dem parteipolitischen Gesichtspunkt sieht, kommen wir nicht weiter."
Die Angelegenheit löste aber auch eine SPÖ-interne Debatte aus. Im "Standard" (Freitag-Ausgabe) stellte eine anonyme SPÖ-Mandatarin ein "Führungsversagen" der Klubspitze in den Raum - "das sehe ich nicht so", betonte Leichtfried. "Unsere Abgeordneten entscheiden immer für sich selbst, was sie tun." Dass auf den leeren roten Sitzen auch mehrere Klub-Mitarbeiter Platz genommen haben, will Leichtfried nicht als Auffüllen der Lücken verstanden wissen: Er sitze ganz vorne und "ich habe das gar nicht beobachtet", sagte er, und "selbstverständlich müssen Mitarbeiter auch irgendwo sitzen".
Scharfe Kritik an der hohen roten Abwesenheitsquote kam von den NEOS, und auch auf Twitter wurden die betroffenen Abgeordneten - etwa vom SPÖ-Urgestein Josef Ackerl aus dem äußerst linken Lager - aufgefordert, sich zu erklären. Und die Erklärungen waren durchaus bunt: Umweltsprecherin Julia Herr machte etwa "terminliche Gründe" geltend, warum sie nicht anwesend war - "dies ändert jedoch nichts an meiner klaren Positionierung zu diesem Thema". Wehrsprecher Robert Laimer fühlte sich wiederum "nicht genug in den Prozess von Präsident Sobotka eingebunden", wie er dem "Kurier" sagte. "Ich stehe nicht zur Verfügung für den Missbrauch parteipolitischer Zwecke in unserem Land." Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner wehrte sich gegen Verurteilungen und ließ in einem - mittlerweile gelöschten - Tweet wissen, "ich hatte Geburtstag, habe mit meinen Freund*innen gefeiert", außerdem habe er nach einer Zahnoperation "die Fäden heraus bekommen".
Burgenlands Landeshauptmann und SPÖ-Chef-Kandidat Hans Peter Doskozil meinte in der "ZiB 2" Donnerstagabend jedenfalls, er hätte das Parlament nicht verlassen. "Ich hätte das ermöglicht und auch den Ausführungen des Herrn Präsidenten zugehört, das ist eine klare Positionierung, für mich ist das auch mit der Neutralität vereinbar."
Wiens Bürgermeister und SPÖ-Landesparteivorsitzender Michael Ludwig betonte am Freitagnachmittag im Gespräch mit Medienvertretern, dass er nicht sagen könne, ob die Kritik an der SPÖ-Fraktion berechtigt sei. Es sei ihm jedoch aufgefallen, dass die Wiener Abgeordneten anwesend waren. "Und von daher habe ich keine unmittelbare Veranlassung gehabt, noch genauer nachzufragen." Von anderen Mandataren wisse er nur, dass es unterschiedliche Gründe für das Fernbleiben gegeben habe.
Die Bevölkerung ist in der Frage des Selenskyj-Auftritts übrigens gespalten: Wie Meinungsforscher Peter Hajek für ATV bei 500 Teilnehmern - im Vorfeld - erfragte, sind insgesamt 49 Prozent der Befragten von der Rede des ukrainischen Präsidenten im Parlament nicht erfreut. Auf die Frage "Soll Selenskyj im Parlament per Video zugeschaltet eine Rede halten dürfen?", antworteten 27 Prozent "auf keinen Fall" und 22 Prozent, dass er "eher keine" Rede halten dürfte. 39 Prozent (19 Prozent "auf jeden Fall", 20 Prozent "eher ja") begrüßten im Vorfeld den Auftritt des ukrainischen Präsidenten im österreichischen Parlament. 12 Prozent der Befragten hatten keine Meinung dazu.
Während sich die Mehrheit der SPÖ- (59 Prozent), Grün- (51 Prozent) und NEOS-Wähler (50 Prozent) "auf jeden Fall" bzw. "eher" für den Auftritt Selenskyjs aussprachen, waren 52 Prozent der ÖVP-Wähler und 75 Prozent der FPÖ-Wähler "auf jeden Fall" oder "eher" gegen dessen Auftritt.